Allibert oder Selbstfindung im Museum

Schwabenrabatt! Einmal im Monat lässt das Landesmuseum Schwaben und auch Schwaben-Anwärter nachmittags umsonst rein. Ich beschließe, dass ich nach der intensiven Auseinandersetzung mit meinem Alltagskrempel in den letzten Woche den Diskurs mal auf den nächsten Level heben könnte. Und besuche das Museum der Alltagskultur, einen Katzensprung (allerdings bergan) von mir entfernt.

Der Konsumverzicht funktionierte bisher ja ganz passabel, aber im Museumsshop am Eingang beschleicht mich wie immer der Wunsch, einen der 8 Lurchi-Sammelbände käuflich zu erstehen. Ich bleibe standhaft und ergötze mich stattdessen an diesem Kleinod:

lurchi-karussel

Schuhekaufen war für mich in den 70ern ein wahrer Graus. Ich musste Einlagen tragen und die Kinderschuhe, die dazu passten, waren deswegen vermutlich noch klobiger und deprimierender als ohnehin schon. Der einzige Trost waren da Lurchi und seine Gefährten. Omnipräsent – als Plastikfiguren, auf Mini-Karussells und eben in den Lurchi-Heften. „Lange schallt’s im Walde noch: Salamander lebe hoch“. Das Ende aller Heldengeschichten können auch die anderen Teilnehmer der Führung aus dem Stand hersagen. Die sind im Schnitt so 20-30 Jahre älter als ich. Mal nachschlagen: Aha, Lurchi gibt es schon seit 1937 und seit 1950 sind die Hefte regelmäßig erschienen. Es gibt sogar eine Lurchiforschung!

Ulmer Münster aus KartonDie zweite Versuchung lauert im Dachgeschoss: historische Bastelbögen der Firma Schreiber. Habe ich schon als Kind geliebt. Zuhause gucke ich dann gleich mal, ob man die noch kaufen kann. Tatsächlich – der Aue-Verlag aus dem schönen Möckmühl vertreibt sie weiterhin. Kuriositäten wie SA-Aufmärsche zum Ausschneiden aus Karton sind nicht mehr zu haben, aber dafür viele Prachtstücke der europäischen Architekturgeschichte. Vielleicht sollte ich mal das Ulmer Münster nachbauen. Dann muss ich mir nicht mehr so viel Gedanken über meine Auszeit-Gestaltung machen. Und mein Blog hätte endlich ein einheitliches Thema für die nächsten paar Monate.

sprungschuesselIn der Ausstellung lernt man, was man alles so reparieren kann. Von vielfach geflickter Bettwäsche bis hin zu einer mit Metallklammern reparierten Kunststoffschüssel. In meiner Kindheit gab es noch diese Schublade mit den zu stopfenden Socken und zu flickenden Hosen. Und heute? Für vieles fehlt mir das Werkzeug oder auch das technische Know-how. Aber Stopfen kann ich immerhin. Und repariere solchermaßen inspiriert mit viel Geduld und Spucke meine etwas fadenscheinig gewordenen Stuhlbezüge.

trine_im_bade

Autorin beim Badevergnügen

Außerdem ist die Originaleinrichtung einer Wohnung zu sehen, die Anfang der 20er Jahre bezogen wurde. Badezimmer gab es damals keins. Erwachsene wuschen sich am Waschbecken oder besuchten das Stadtbad. Die Kinder wurden im Zuber geschrubbt. Das Vergnügen hatte ich auch, wenn ich als Kind meine Großeltern in Göttingen besuchte. Ich weiß immer noch ganz genau, wie es sich anfühlt, die Badetabletten mit den Füßen auf dem Boden der Plastikwanne zu zerkleinern. Und habe diesen unvergleichlichen Fichtennadelduft in der Nase. Ganz zu schweigen vom Anblick des giftgrünen Badewassers!

boilerUnd ich hatte das Vergnügen dann wieder, als ich Ende der 80er in Berlin studierte. Da passte ich leider in keinen Zuber mehr. Ich hätte ja ins Stadtbad Neukölln wandeln können, um ein Wannenbad für eine halbe Stunde zu mieten. Aber das war mir meist zu zeitaufwändig. Also erstmal im Boiler Wasser warm machen. Dann mit Waschlappen und Seife ans Waschbecken. Im Winter kein großes Vergnügen, der Kohleofen bekam die Wohnung nicht richtig warm und der kleine Heizlüfter war auch keine große Hilfe. Also Zähneklappern. Oder fröhlich verdrecken.

Waschen kann man auch – Plastiktüten. Mit dieser Erkenntnis will unsere Führerin uns wohl schockieren. Ja wie jetzt? Mach ich doch auch. Hab ich so gelernt. Immerhin erfahre ich, dass das nicht nur ressourcenschonend, sondern auch gesund ist, weil der Weichmacher über die Zeit schwindet.

Plastiktütenwaschen früher

Plastiktütenwaschen früher …

Plastiktütenwaschen heute

… und heute

putzmittelJaja, auch die Reinhaltung der Wohnung ist eine Kunstform für sich. Das dachten sich sicher die Ausstellungsmacher bei diesem Exponat. Vielleicht sollte ich meinen Putzschrank etwas künstlerischer aufbereiten, um das Putzvergnügen zu erhöhen.

Oder extravagantere Putzoutfits wählen und eine Performance draus machen. Als den Damen die Hausmädchen wegliefen, weil die Fabrikjobs wesentlich besser bezahlt waren, riet die AEG zum Kauf des Vampyr-Staubsaugers mit dem Argument, dass man damit „ganz Dame und doch Hausfrau“ sein könne. Das erinnert mich doch verdächtig an eine aktuellere Marketing-Kampagne von InStyle, mal in den Frauenzeitschriften blättern:

vampyr-instyle

Ganz oben unterm Schlossdach entdecke ich meinen alten Freund Allibert. Designtechnisch total uncool, aber sowas von praktisch. Was man da alles so unterbringen konnte. Durch die 3 Spiegeltüren hatte man außerdem jederzeit seinen Hinterkopf unter Kontrolle. Und – wichtig – für Kurzsichtige – den Spiegel direkt vor der Nase, man konnte ganz entspannt alles möglich im Gesicht nachbessern, ohne sich in Schräglage über dem Waschbecken ausbalancieren zu müssen. Mit Allibert würde ich jederzeit wieder zusammenziehen!

allibert

Das ganze Gegenteil von Allibert befindet sich – gruseltechnisch korrekt platziert – im Kellergewölbe des Schlosses: der Kruschtschrank. Alles aufbewahren, was man evtl. noch einmal gebrauchen kann – so kann das enden! Bloß nicht!! Schnell zurück in den eigenen Keller und weiter aufräumen!!!

kruschtschrank

 

Ob mit oder ohne Schwabenrabatt – der Besuch, am besten mit einer Führung, lohnt sich:

Museum der Alltagskultur
Schloss Waldenbuch
Kirchgasse 3
71111 Waldenbuch

Helden des Alltags auf Tumblr

6 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Vieles kenne ich aus meiner Kindheit auch noch. Bei mir war es aber der Wassereimer den meine Oma bereitstellte – meist zu kalt, weil es nur einen Kohleherd in der Küche gab. Trotzdem eine liebe Erinnerung. Zum Münster: wir haben heute 1000 Jahre Geschichte von Bamberg mit Scherenschnitt und Papp-Dom gesehen. Ganz toll. http://www.bamberg.theater-der-schatten.de/

    Liebe Grüsse,
    Benno

  2. Die Sache mit dem Fichtennadelschaumbad kenne von früher als Ersatz von irgend einem Salz oder Mineral als Badezusatz. Das war schon ein Fortschritt gebenüber dem alten Zeug. Richen kann und konnte ich das Fichtennadelaroma damals wie heute nicht, ebenso wie den Nachfolger, den Green Apple Zusatz. Wenigstens bei Lavendel wird mir heute nicht schlecht davon.
    Baden war damals schon eine eiskalte Sache mangels Kohle oder Holz. Mit Strom heizen war ja eine Todsünde und Verschwendung. Das Holz musste ich erst mal im Wald sammeln, die Kohle musste ich teilweise sparen für den Winter in der Schule fürs Klassenzimmer. Da stand noch so ein alter freistehender Ofen für Holz und Kohle. Eine Zentralheizung gabs da noch nicht. Auch damals wurde schon gespart, koste es was es wolle.
    Später wurde sogar eine Kohle gespeiste Zentralheizung angeschafft. Dann wurden wir nachmittags zum Kohle schippen und Asche entsorgen eingeteilt, aber wir mussten dann wenigstens nicht mehr zum Heizen mitbringen.

    An diese Zeit denke nicht unbedingt gerne zurück. Es war schon unglaublich primitiv und ärmlich. Trotzdem finde ich es gut dass ich wie in diesem Blog ab und zu daran erinnert werde auf dass ich nicht vergesse woher ich komme.

    Es ist schon verwunderlich dass es immer erst einen Anstoß von außen braucht dass man mal wieder darüber nachdenkt.

    Viele Grüße
    Gerhard

    • Danke fürs Teilen Deiner Erinnerungen! Finde das schon erstaunlich, dass es zu Deiner Zeit noch so relativ primitiv zuging. Hätte sowas eher in meiner Großeltern-Generation erwartet. Und Du bist doch in Stuttgart zur Schule gegangen, oder?

      Liebe Grüße!

Schreibe einen Kommentar