Höhlenabenteuer II

Raus aus der Höhle … rein in die Höhle. Ein Problem, das die Auszeit mit sich gebracht hat: wenn man ganz viel Abenteuer im Kopf hat, besteht die Gefahr, dass man nur aus seinen imaginären Fenstern guckt und vergisst, auch mal vor die Tür zu gehen. Meine Höhle ist sehr wohnlich, aber vielleicht lohnt es sich, auch mal andere anzuschauen. Bzw. andere Höhlenbewohner. In einen hab ich mich ja schon vor vielen Jahren verguckt, obwohl ich ihn da noch gar nicht persönlich kannte. Also: im Zickzackkurs über die Täler und Höhen der Schwäbischen Alb. Eine faszinierende Landschaft. Und, nach allem was man weiß, die Geburtsstätte von Kunst und Musik. Vor 40.000 Jahren.

Loewenmensch Auch in Ulm im Museum kommt man auf gerader Linie nirgendwo hin, es ist das reinste Labyrinth. Trotzdem finde ich ihn mit traumwandlerischer Sicherheit, ohne groß die Pläne zu studieren. Der Löwenmensch steht – nach der großen Sonderausstellung anlässlich seiner Rekonstruktion – nun wieder in seinem kleinen Kämmerchen. Und das ist eigentlich zu klein für ihn, auch wenn er nur gute 30 cm misst. Dafür, dass es sich wahrscheinlich um das älteste Kunstwerk der Menschheit – und meiner Meinung nach um das spektakulärste Zeugnis der Steinzeit – handelt. Er sieht aber ganz gelassen aus und scheint sogar ein wenig zu schmunzeln. Vielleicht freut er sich aber auch, dass er nach den Turbulenzen der letzten 75 Jahre wieder ein bisschen Ruhe hat.

Auf etwa 40.000 Jahre Lebensalter sind 75 ja nicht gerade viel. Aber diese 75 Jahre hatten es in sich:

Es beginnt mit dem Ende der Ausgrabungen im Hohlenstein-Stadel im Lonetal. Am 25. August 1939 werden sie überstürzt abgebrochen. Viele der Mitarbeiter haben ihren Einberufungsbefehl erhalten. Die Funde des letzten Grabungstages werden in Zigarrenkistchen nach Tübingen gebracht, dort überstehen sie den Krieg.

Erst 30 Jahre später inventarisiert Joachim Hahn die Funde vom letzten Grabungstag. Er entdeckt zahlreiche Stückchen aus bearbeitetem Mammutelfenbein, die sich verblüffend einfach zu einer kleinen Skulptur zusammensetzen lassen, die halb Mensch halb Tier zu sein scheint. Er tauft das fragmentarische Wesen scherzhaft „Mugwump“, nach einer Fantasiegestalt aus William S. Burroughs‘ Roman „Naked Lunch“.

Anfang der 70er Jahre kommen weitere Teile zum Vorschein. Einige hatte man nach dem Tod Robert Wetzels, des Grabungsleiters von 1939, auf seinem Schreibtisch gefunden und erinnert sich nun an sie. Andere soll ein ein Kind beim Spielen im Hohlenstein entdeckt haben. Es dauert noch einmal 10 Jahre, bis diese Stücke dem Löwenmenschen angefügt werden, und erst 1988 kehrt der Löwenmensch ins Ulmer Museum zurück. Die abenteuerliche Rekonstruktionsgeschichte scheint zu einem Ende gekommen zu sein.

2008 plant man, die Aufnahme der bedeutensten Fundstätten eiszeitlicher Kunst im Lone- und im Achtal in das UNESCO-Welterbe zu beantragen. Man begibt sich zur Bestandsaufnahme in die Stadelhöhle im Hohlenstein – und stellt sehr schnell fest, dass die Fundstätte mitnichten wie bisher angenommen leergeräumt worden ist. Die Grabungen werden wieder aufgenommen – und mit beängstigender Genauigkeit trifft man beim ersten Schnitt wieder den Fundort des Löwenmenschen. Mehrere hundert Bruchstücke aus Elfenbein befördern die Wissenschaftler zutage – und das große Puzzle beginnt von neuem. Von den insgesamt 600 Teilen gehören bei weitem nicht alle zu der Figur – aber 2013 geht der Löwenmensch wesentlich vollständiger und auch größer aus seiner letzten Restaurierung hervor und wird in Ulm in einer Sonderausstellung präsentiert.

Die Geschichte ist ein veritabler Krimi und kann im Buch zur Ausstellung „Die Rückkehr des Löwenmenschen“ nachgelesen werden, das man freiwillig nicht aus der Hand legt, bevor man die letzte Seite erreicht hat. Ein hochspannender Führer zur eiszeitlichen Kunst und Kultur auf der Schwäbischen Alb. Ein I-Tüpfelchen sind die wunderbaren doppelseitigen Fotos vom winterlichen Lonetal! (Der aufmerksame Leser bemerkt: ich habe mir ein Buch gekauft. Es hat eine Weile gedauert, bis ich mein Approval dafür bekommen habe. Aber meine Hartnäckigkeit hat sich gelohnt.)

Vor 7 Jahren bin ich schon um den Hohlenstein im Lonetal herumgestapft, nichtsahnend, dass ein erheblicher Teil vom Löwenmenschen dort noch unterm Abraum begraben lag. Der Ausflug damals hinterließ bei mir eine gewisse Ratlosigkeit, ein Fragezeichen. Einige Zeit später hatte ich einen Traum. In einer weiten, einer Savanne ähnlichen Landschaft war ich unterwegs und spürte eine gewisse Beunruhigung, wenn auch keine Angst. Dann sah ich sie, die Löwenmenschen. Es waren viele, sie waren sehr groß, so an die zweieinhalb Meter und sie bewegten sich sehr rasch über die Ebene, ohne dass ich nachvollziehen konnte, nach welchem Plan. Leider bin ich aufgewacht, bevor ich erfahren konnte, was sie im Schilde führten …

LeuchterDas Ulmer Museum hat in seiner bunten Mischung aus Archäologie, Kunst, Handwerk, Stadtgeschichte etwas von einer Wunderkammer, und sicherlich sind dort noch so einige Kleinodien zu finden und Geschichten auszugraben – aber nach der Begegnung mit dem Löwenmenschen fehlt mir der Sinn dafür. Trotz Lageplan verlaufe ich mich ständig, überall sind kleine Auf- und Abgänge, Verbindungen zwischen den alten und modernen Gebäudeteilen, irgendwann wird mir ganz schwindelig. Besonders, als ich versuche, der schönen alten Wendeltreppe ins Treppenauge zu schauen.

"Bunny" von Patricia Weller

„Bunny“ von Patricia Weller

Nur in die Sonderausstellung, auf die Tiere in der Kunst des 20. Jahrhunderts werfe ich noch ein paar Blicke. Die passen aber auch zu gut zu ihrem Urvater ein Stockwerk höher. Vielleicht schmunzelt der Löwenmensch ja auch deswegen, weil er einen Blick auf seine gehäkelten Artgenossen von Patricia Waller werfen konnte. Irgendwie kommen mir 40.000 Jahre jetzt gar nicht mehr so viel vor. Furries unite!

HohlefelsDann heißt es raus aus Ulm und hinein ins Achtal, wo neben dem Lonetal die bedeutendsten Funde aus der Altsteinzeit gemacht wurden. Die Höhle im Hohlefels kann man begehen, auch wenn hier immer noch gegraben wird. Die Dunkelheit tut gut. Ich will so schnell gar nicht wieder ans Licht. Aber ich möchte ja noch das vor wenigen Wochen neueröffnete Urzeitliche Museum in Blaubeuren sehen, in dem die wichtigsten Hohlefels-Funde gezeigt werden.

Eigentlich hatte ich an der steinzeitlichen Archäologie nie ein besonderes Interesse – bis ich die ersten Funde aus der Vogelherdhöhle gesehen hatte: das wunderschöne Wildpferd und das von den Schwaben zärtlich „Mammutle“ genannte Urviech. Da war ich schon verzaubert. Das waren für mich keine bloßen historischen Zeugnisse mehr, sondern unmittelbar künstlerische. Dann hat es mich auch gar nicht mehr sehr gewundert, dass die zahlreichen Flöten-Funde Zeugnis ablegen von einer eiszeitlichen Musik-Kultur, die alles andere als primitiv ist. Im „Urmu“ kann man die Flöten nicht nur sehen, sondern auch dem Spiel auf ihren Nachbauten lauschen. Auch die im Hohlefels gefundenen Schnitzereien, etwa die Venus vom Hohlefels oder der Wasservogel, sind dort untergebracht, in kleinen, intensiv farbigen Räumen mit einer ganz eigenen Atmosphäre.

Die Inspiration dafür fanden die Museumsmacher wohl direkt vor der Haustür. Zum Abschluss meines Ausflugs spähe ich wieder einmal in das tiefe Blau, in der Hoffnung, einen Blick auf die Schöne Lau zu erhaschen. Vielleicht hat sie sich gerade auf den Weg vom Schwarzen Meer durch das unterirdische Höhlensystem gemacht, um dem Blautopf einen Besuch abzustatten? Doch magische Begegnungen gab es heute ja schon genug …

blautopf

Der Löwenmensch im Ulmer Museum
Marktplatz 9
89073 Ulm

Urgeschichtliches Museum Blaubeuren
Kirchplatz 10
89143 Blaubeuren

Ulmer Museum (Hg.). Die Rückkehr des Löwenmenschen. Geschichte – Mythos – Magie. Ostfildern: Thorbecke, 2013.

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